Die Haltlosigkeit der Fotografie
Zur Bilderserie von Thomas Plain.
Text: Regula Ehrliholzer 

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«Nicht die Realität wird durch Fotografieren unmittelbar zugänglich gemacht; was durch sie zugänglich gemacht wird, sind Bilder.» 
(Susan Sontag)

 Ist es Malerei, ist es Fotografie? Thomas Plains Arbeiten sind fotografische Reproduktionen eines Zustands einer Fotografie. Und doch haben wir es in einem gewissen Sinne mit einem «gemalten» Bild zu tun. Das originale, digitale Bild wird auf ein unstetes Trägermateial aufgetragen. Den Rest erledigt die Zeit, der Zufall, dem Thomas Plain die Verfremdung, welche die malerische Komponente hinzufügt, überlässt. Plain beobachtet, welche Veränderung das Bild durchläuft. Denn über kurz oder lang wird er wieder eingreifen und die Momente des veränderten Zustands der Bilder festhalten, den veränderten Blick auf diese ergründen. Ein Zustand wird fixiert, der einige Augenblicke oder auch einige Tage später ein anderer sein wird. Doch es fehlt die Referenz. Während das Bild sich verändert, verändert sich auch die Erinnerung an den Moment der Aufnahme. Die Erinnerung selbst gleicht einem fotografischen Träger, dem die Fähigkeit zur Fixierung fehlt. Und der Betrachter des verfremdeten – vielmehr zersetzten – Bildes kennt nicht einmal die ursprüngliche Fotografie. Doch er kennt die detailversessenen, hyperscharfen oder in der Anwendung von Unschärfefiltern beliebigen Bilder der Werbefotografie. Thomas Plain ist auch Werbefotograf. Er weiss, die Effekte, welche heute so leicht am Computer herstellbar sind, überraschen niemanden mehr. Die Algorithmen arbeiten nach dem immer selben Schema, die Resultate sind voraussehbar. Ist die Ästhetik von Thomas Plains Bildern dieser Verfremdungs-Bildsprache nicht einmal so unähnlich, bestehen doch grundlegende Unterschiede. Thomas Plain will die Dinge völlig aus der Hand geben. Bis zu dem Moment, da er die veränderten, analogen Ergebnisse wiederum festhält. Der Betrachter nimmt die Pigmente wahr, die Körnigkeit der Farbe, das Gerinnen der ursprünglich regelmässig verteilten Farbaufträge zu Klümpchen: vielmehr handelt es sich um einen realen Zersetzungs- als um einen Verfremdungseffekt. 

Die Zeiten fliessen ineinander, es schwindet die Distanz zwischen dem Moment der Aufnahme, der Wiedergabe und des zeithavarierten Bildes. Und doch ermöglicht der Prozess dem Künstler eine für ihn sinnstiftende Distanz zum Original. Plain experimentiert mit unterschiedlichen Sujets, die – sind es Menschen – in einem auf besondere Weise veränderten und karrikierten Bild sich auflösen. Welche Aspekte treten zurück, welche treten in den Vordergrund? Der Fotograf kann es für einmal nicht steuern, er möchte es nicht voraussehen, er möchte mit derselben Aufnahme die Unendlichkeit der Möglichkeiten der Fotografie geschehen lassen und die an sich schon vielfältigen Positionen der Wahrnehmung ein und desselben Bildes nochmals ausweiten. Laszivität entschwindet aus den Bildern, und auf einmal gewinnt das noch so verschwommene Gesicht mehr Ausdruck als die Pose an sich. 

Die zerstörende Komponente der Zeit wird beschleunigt. Doch wie zur Beruhigung gewinnt Plain diesem Prozess eine neue Ästhetik ab, bei dem die fotografischen Kriterien des Originalbildes in den Hintergrund treten. Denn dieses wird ohnehin abgelehnt, abgelehnt aus einer Enttäuschung, oder entlassen aus der Pflicht, das perfekte Bild sein zu wollen, eine Aussage hergeben zu müssen. Das Verfahren der beschleunigten Zersetzung und deren Dokumentation dient auf jeden Fall der Hinterfragung des ursprünglichen Bildes. 

Thomas Plains Bilder, seien es Serienaufnahmen des Auflösungsprozesses oder Einzelbilder, laden dazu ein, ebenso genau hinzuschauen, zu beobachten, zu entdecken – auch wenn oder gerade weil unser Blick nicht durch den Fotografen gelenkt ist. Und sie laden zum Nachdenken über Fotografie ein: die technisch perfekte Reproduktion des Zersetzungsprozesses eines ehemals technisch perfekten Bildes weist eine zirkuläre Komponente auf. Und verdeutlicht – mit den Worten von Susan Sontag – folglich auch, dass Plains Unterfangen dazu angelegt ist, «sich selbst ad absurdum zu führen». Doch wie jeder Leidenschaft eigen, lässt sie nicht los, auch wenn das auslösende Moment entschwunden scheint.

Haltbare Flüchtigkeit
Die Bilder werden als Highend-Fachvergrösserungen mittels Lambdasystem auf traditionellem Fuji-Fotopapier ausbelichtet. Sie haben eine Höhe von ca. 120 cm und werden auf ein Aluminiumblech aufgezogen. In dieser Grösse und in dieser Produktionsart wird eine Auflage von maximal 8 Exemplaren erstellt - zwei weitere Exemplare verbleiben im Privatbesitz des Künstlers.
Spezialanpassungen wie varierende Grössen oder spezielle Rahmungen können selbstverständlich berücksichtigt werden.

Thomas Plain lebt in Zürich.